Mit der ausserordentlichen Lage aufgrund der Corona- Pandemie hat sich der Datenverkehr in den Fernmeldenetzen stark erhöht. Homeoffice, Netflix, Telefonkonferenzen über das Mobilfunk- statt über das Festnetz etc. führen zu einer viel stärkeren Auslastung der Mobilfunknetze. Diese stossen an ihre Grenzen. Es stellt sich somit erneut die Frage, wie weiter mit dem Ausbau der Netze und der Einführung der neuen Technologie 5G? Müssen die Grenzwerte der Mobilfunkantennen erhöht werden? Welche Haltung vertritt der HEV Schweiz, und was macht der Bundesrat?
Die Verordnung über den Schutz vor nichtionisierender Strahlung (NISV) schützt die Schweizer Bevölkerung mit Immissionsgrenzwerten bei Mobilfunkantennen gemäss Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sowie gemäss den Richtlinien zur Exposition durch elektromagnetische Felder, herausgegeben von der Internationalen Kommission zum Schutz vor nicht ionisierender Strahlung (ICNIRP), welche die WHO berät. Diese Richtlinien der ICNIRP wurden im März 2020 aktualisiert. Die Richtwerte berücksichtigen thermische Effekte von elektromagnetischen Feldern, d.h. die Erwärmung des Körpers. Sie sind überall einzuhalten, wo sich Menschen – auch nur kurzfristig – aufhalten können.
Strengere Anlagegrenzwerte
Für Orte mit empfindlicher Nutzung, sog. OMEN – wie beispielsweise Wohnungen und Schulen – gelten strengere Anlagegrenzwerte. Sie sorgen dafür, dass das Vorsorgeprinzip des Umweltschutzgesetzes (USG) eingehalten wird. Das Umweltschutzgesetz sieht vor, dass Menschen, Tiere und Pflanzen sowie ihre Lebensgemeinschaften und Lebensräume vor schädlichen oder lästigen Einwirkungen geschützt werden. Im Sinne der Vorsorge müssen deshalb Einwirkungen, die schädlich oder lästig werden könnten, frühzeitig begrenzt werden. Die Emissionen sind dazu soweit zu begrenzen, als dies technisch und betrieblich möglich sowie wirtschaftlich tragbar ist. Da aufgrund unterschiedlicher Beobachtungen neben den thermischen auch andere Effekte nicht restlos ausgeschlossen werden können, wurden die strengeren Anlagegrenzwerte in der NISV festgehalten. Die Grenzwerte gelten unabhängig davon, welche Technologie verwendet wird.
Aktuelle Einschätzungen der Schädlichkeit
Die WHO hielt im Februar 2020 fest, dass es zurzeit, nachdem viel geforscht worden war, nach wie vor keinen kausalen Zusammenhang zwischen Immissionen von Funktechnologien und gesundheitsschädigenden Auswirkungen gibt. Diese Erkenntnis basiert auf Studien zum gesamten Spektrum der Radiofrequenzen. Allerdings untersuchten bisher nur wenige Studien die Strahlenexposition bei Mobilfunkantennen und bei der Breitbandtechnologie der 5. Mobilfunkgeneration (5G). Gemäss ICNIRP genügen die bisher geltenden Immissionsgrenzwerte nach wie vor, um Menschen vor negativen gesundheitlichen Effekten zu schützen.
Die neue Technologie 5G ist nur möglich, wenn sowohl bestehende Antennen per Software-Upgrade umgerüstet als auch adaptive Mobilfunkantennen neu gebaut werden. Eine 4G-Antenne strahlt permanent in einem Radius von 360 Grad, wenn sie über drei Sektoren verfügt. Adaptive Antennen hingegen schicken ihre Signalpegel nur auf die aktiven Nutzer in einer Funkzelle. Sämtliche Antennen, unabhängig von der verwendeten Technologie, müssen die geltenden Grenzwerte einhalten. Es ist derzeit aber nach wie vor nicht geklärt, wie die Strahlung adaptiver Antennen genau gemessen werden soll.
Haltung des HEV Schweiz
Die Anlagegrenzwerte für Mobilfunkantennen schränken den Bau von Mobilfunkanlagen in der Nähe von OMEN ein. Aus Sicht des HEV Schweiz ist es der falsche Ansatz, die Anlagegrenzwerte zu lockern, um eine Verstärkung der Sendeleistung in diesen besonders empfindlichen Gebieten zu forcieren. Trotz bisheriger Forschungen können nicht alle Fragen betreffend Auswirkungen auf die Gesundheit abschliessend beantwortet werden, insbesondere nicht jene nach den Langzeitfolgen. Gegen eine Erhöhung der Anlagegrenzwerte setzt sich der HEV Schweiz seit Langem ein. Dank des grossen Einsatzes von Ständerätin Brigitte Häberli-Koller, Vizepräsidentin HEV Schweiz, konnte im Parlament die Erhöhung der Anlagegrenzwerte bisher zwei Mal verhindert werden.
Moratorien
Einzelne Kantone wie Waadt, Jura oder Genf haben Moratorien gegen den Bau von 5G-Antennen erlassen. Inwieweit diese vor Bundesrecht standhalten, ist umstritten. Ein Teil der Gemeinden behandelt derzeit keine Baugesuche für solche Antennen mehr, weil die definitiven Messregeln immer noch nicht bekannt sind. Arbeitsgruppe Mobilfunk und Strahlung Alt-Bundesrätin Doris Leuthard setzte im Herbst 2018 eine Arbeitsgruppe ein, um den Bereich Mobilfunk und Strahlung, Bedürfnisse und Risiken beim Aufbau von 5G-Netzen zu analysieren und einen Bericht mit Empfehlungen vorzulegen. In der Arbeitsgruppe hätten die betroffenen Kreise vertreten sein sollen. Dem HEV Schweiz wurde jedoch trotz Intervention der Einsitz verweigert. Der Bericht erschien am 18. November 2019. Aufgrund der wissenschaftlichen Unsicherheiten schlägt die Arbeitsgruppe vor, am Vorsorgeprinzip des USG festzuhalten. Über dessen Ausgestaltung herrschte kein Konsens. Gemäss Bericht hätte das Festhalten am Status quo circa 26000 zusätzliche Antennenstandorte und die Nachrüstung von 5000 Antennen zur Folge, verbunden mit Kosten in der Höhe von ca. 7,9 Milliarden Franken. Bis 5G in der gesamten Schweiz flächendeckend vorhanden wäre, würde es ca. 20 bis 30 Jahre dauern.
Entscheid des Bundesrats
Am 22. April 2020 hat der Bundesrat das weitere Vorgehen bezüglich 5G bekanntgegeben. Er anerkennt dabei die wichtige Rolle von 5G bei der Digitalisierung. Gleichzeitig will er den Vorbehalten in Teilen der Bevölkerung und bei den Kantonen, die mit der Einführung der neuen Technologie und dem Ausbau des 5G-Netzes verbunden sind, Rechnung tragen. Er stützt sich bei seinem Entscheid auf den obgenannten Bericht der Arbeitsgruppe. Der Bundesrat beauftragt das UVEK mit der Ausarbeitung einer Vollzugshilfe für den Umgang mit den neuen adaptiven Antennen. Zudem soll das UVEK die im Bericht vorgeschlagenen Begleitmassnahmen umsetzen. Der Bundesrat will die Grenzwerte zum Schutz der Bevölkerung vor nichtionisierender Strahlung zurzeit nicht verändern. Der HEV Schweiz begrüsst den Entscheid, die Grenzwerte derzeit nicht anzutasten.