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Schützen oder nutzen?

25.06.2020 ANNEKÄTHI KREBS MLaw, Juristin beim HEV Schweiz

Raumplanung – Wer bestimmt, ob ins Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz von nationaler Bedeutung (ISOS) eingegriffen werden darf? Seit dem 1. April 2020 bilden nicht mehr ausschliesslich die Gutachten der Eidgenössischen Natur- und Heimatschutzkommission und der Eidgenössischen Kommission für Denkmalpflege die alleinige Entscheidgrundlage.

In der Vergangenheit waren die Gutachten der Eidg. Natur- und Heimatschutzkommission faktisch alleinige Entscheidgrundlage für die Beurteilung der Interessenabwägung, ob ein übermässiger Eingriff ins Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz von nationaler Bedeutung (ISOS) vorliegt. Die Behörden stützten sich bei der Beurteilung eines Bauprojekts auf diese Gutachten und lehnten Projekte oft aufgrund des Resultats der Gutachten ab. Trotz des langen und steinigen Weges gelang es der parlamentarischen Initiative Eder – «Die Eidgenössische Natur- und Heimatschutzkommission und ihre Aufgabe als Gutachterin » –, dies zu ändern.

Wie bereits in meinem Artikel vom 15. März 2019 (Ausgabe Nr. 5 / 2019) erläutert, sollen im ISOS verzeichnete Objekte grundsätzlich ungeschmälert erhalten bleiben. Das ISOS umfasst heute 1274 Objekte, für gewöhnlich mit mindestens 10 Hauptbauten, die auf der ersten Ausgabe der Siegfriedkarte vermerkt und auf der Landeskarte mit Ortsbezeichnung versehen sind.

Ungeschmälerter Erhalt eines Objekts

Durch die Aufnahme eines Objekts von nationaler Bedeutung ins ISOS wird gezeigt, dass es in besonderem Masse die ungeschmälerte Erhaltung, jedenfalls aber – unter Einbezug von Wiederherstellungsoder angemessenen Ersatzmassnahmen – die grösstmögliche Schonung verdient. Von dieser ungeschmälerten Erhaltung darf bei Erfüllung einer Bundesaufgabe nur abgewichen werden, wenn ihr bestimmte gleich- oder höherwertige Interessen von ebenfalls nationaler Bedeutung entgegenstehen. 

Parlamentarische Initiative Eder

Diese strenge Vorschrift wollte die parlamentarische Initiative von Alt-Ständerat Joachim Eder, Ausschussmitglied des HEV-Schweiz- Vorstands, lockern. Sie verlangte, dass von der ungeschmälerten Erhaltung eines Objekts abgewichen werden kann, wenn öffentliche Interessen des Bundes oder der Kantone respektive eine umfassende Interessenabwägung dies rechtfertigen. Damit sollte erreicht werden, dass bestimmte kantonale Vorhaben bei der Interessenabwägung zwischen dem Schutz von Objekten nationaler Bedeutung und dem Nutzen der betreffenden Vorhaben berücksichtigt werden können. Diese Lockerung hätte zu einer Erweiterung des Kreises möglicher Vorhaben geführt und den Interessen der Kantone bei der Abwägung mehr Gewicht beigemessen. Gleichzeitig wäre an den hohen Anforderungen festgehalten worden, die bei Eingriffen in Objekte gelten, welche sich in Bundesinventaren befinden. Der Natur- und Heimatschutz wäre nicht gelockert worden. Die kantonalen Interessen hätten mit den Bundesinteressen auf eine Stufe gestellt und der Entscheid im Bewilligungsverfahren demokratisch legitimiert werden sollen. Die Überprüfung der Entscheide wäre nach wie vor durch die Gerichte gewährleistet gewesen.

Nur mit einer Interessenabwägung, in deren Rahmen auch die Interessen der Kantone berücksichtigt werden, kann der kantonalen Richtplanung, aber auch den im öffentlichen Interesse stehenden Bauten, zum Durchbruch verholfen werden. Die verstärkte Interessenabwägung zwischen Schutz und Nutzung in der Raumplanung würde durch die Änderung ermöglicht werden. 

Gewicht der ENHK-Gutachten beschränken

Das zweite Ziel der Pa. Iv. Eder war, dass die Gutachten der Eidg. Natur- und Heimatschutzkommission (ENHK) und der Eidg. Kommission für Denkmalpflege (EKD) nicht mehr alleinige Entscheidungsgrundlage für die Abwägung aller Interessen durch die Entscheidbehörde bilden sollten. Die ENHK beurteilt jährlich über hundert Bauvorhaben. Bei circa einem Viertel stellt sie schwerwiegende Beeinträchtigungen fest. In einem Bewilligungsverfahren wird grundsätzlich nicht von der ENHK-Empfehlung abgewichen. Ihr kommt damit de facto Entscheidungskompetenz zu. Zudem durfte die Entscheidbehörde nach bisherigem Recht bei kantonalen Interessen nur dann vom Ergebnis des Gutachtens abweichen, wenn triftige Gründe wie Irrtümer, Lücken oder Widersprüche bestanden (BGE 127 II 273). Dies ist aus demokratischer und rechtsstaatlicher Sicht äusserst bedenklich. 

Einer vom Bundesrat gewählten – und damit nicht vom Volk legitimierten – Kommission darf nicht ein solches Gewicht zukommen, insbesondere wenn kantonale Entscheidungen in einem demokratischen Prozess zustande gekommen sind. Das Gutachten der ENHK darf deshalb in der Interessenabwägung nicht automatisch höher gewichtet werden als die Ansichten der lokalen und kantonalen Behörden. Neu soll das Gutachten eine der Grundlagen für die Entscheidbehörde bilden, welche das Gutachten in ihrer Gesamtinteressenbeurteilung einbezieht und würdigt. So wird die Rechtssicherheit im Rahmen des Bewilligungsverfahrens gestärkt. Die Gesamtinteressenabwägung wird besser ermöglicht und damit die Basis für eine sinnvolle Gewichtung aller Interessen und für eine ausgewogenere Entscheidung geschaffen. Es geht bei dieser Regelung um die demokratische Legitimation eines Entscheides, und nicht darum, den Natur- und Heimatschutz zu beschneiden. Die Entscheide sind nach wie vor der Überprüfung durch die Gerichte zugänglich.

Umsetzung der Pa. Iv. Eder

Die Umsetzung der Pa. Iv. Eder harrte lange einer Lösung. Der Entwurf der Änderung des Naturund Heimatschutzgesetzes zur Umsetzung der erweiterten Interessenabwägung wurde in der Vernehmlassung insbesondere von den Kantonen abgelehnt. Die Stellungnahmen zur Vernehmlassung konnten dahingehend interpretiert werden, dass die Kantone mit dieser Erweiterung nicht umzugehen wissen. Die Änderung bezüglich der Gutachten der ENHK und EKD wurden jedoch gestützt.

Das Parlament nahm diese Änderung im letzten Jahr an. Am 1. April 2020 trat die Gesetzesänderung, Art. 7 Abs. 3 NHG, in Kraft. Das Referendum wurde nicht ergriffen.

Der Wortlaut des Gesetzes

Neuer Artikel 7 Abs. 3 des Bundesgesetzes über den Natur- und Heimatschutz (fett hervorgehoben), in Kraft seit dem 1. April 2020:

Art. 7 USG Begutachtung durch die Kommission

1 Ist für die Erfüllung einer Bundesaufgabe der Bund zuständig, so beurteilt je nach Zuständigkeit das Bundesamt für Umwelt (BAFU), das Bundesamt für Kultur oder das Bundesamt für Strassen, ob ein Gutachten durch eine Kommission nach Artikel 25 Absatz 1 erforderlich ist. Ist der Kanton zuständig, so obliegt diese Beurteilung der kantonalen Fachstelle nach Artikel 25 Absatz 2.2

2 Kann bei der Erfüllung der Bundesaufgabe ein Objekt, das in einem Inventar des Bundes nach Artikel 5 aufgeführt ist, erheblich beeinträchtigt werden oder stellen sich in diesem Zusammenhang grundsätzliche Fragen, so verfasst die Kommission zuhanden der Entscheidbehörde ein Gutachten. Die Kommission gibt darin an, ob das Objekt ungeschmälert zu erhalten oder wie es zu schonen ist.

3 Das Gutachten bildet eine der Grundlagen für die Abwägung aller Interessen durch die Entscheidbehörde.